Es ist einer dieser Berufe, die man ausgestorben wähnt, der Wagner. Was macht eigentlich dieses Handwerk heute, im 21. Jahrhundert? Jürgen Steck lächelt milde, wenn man ihm die Frage stellt: »Es gibt noch viele Kutschen, Gespanne und Karren. In Kurorten werden oft die Ausflügler damit herumgefahren, bei Hochzeiten gern die Brautpaare. Da müssen immer mal wieder Räder ersetzt und Achsen repariert werden.« Es kommt auch vor, dass antike Stücke auftauchen, deren vermoderte oder gebrochene Teile restauriert werden sollen. Dann muss Jürgen Steck erstmal Detektivarbeit leisten: Aus welchem Holz war das Original? Was war die genaue, manchmal kaum noch zu erkennende Form? Wenn zum Beispiel das Trittbrett eines alten Spinnrads fehlt, dann kann nur die Gestaltung des ganzen Gerätes Hinweise auf die Form des verlorenen Einzelteils geben.
100 JAHRE TRADITION
Eigentlich hatte der gelernte Gärtner Jürgen Steck gar nicht vor, Wagnermeister zu werden. Er machte die Ausbildung für dieses Handwerk hauptsächlich deshalb, weil der Großvater seiner Frau eine kleine Werkstatt in Langenau am Rande der Schwäbischen Alb besaß. Während der Ausbildung stand für ihn fest: »Das ist meins. Das macht mir Spaß.« Die Werkstatt hat er nun übernommen und führt so eine hundertjährige Familientradition fort. Neben dem Bau und der Restauration von Karren und Wagenrädern konzentriert sich Jürgen Steck auch auf Gartengeräte wie Rechen und Heugabeln. Bestes Holz ist dafür der Grundstoff. Die metallene Schelle für die Stiele stellt er aus alten Dosen selbst her. Seine hölzernen Helfer müssen nicht einmal lackiert oder versiegelt werden. »Holzkleber löst sich in Feuchtigkeit sowieso wieder auf. Wenn der Rechen gut gearbeitet ist, und man ihm immer wieder Zeit zum Trocknen gibt, dann hält so ein robuster Rechen fast ewig.« Rechen ist nicht gleich Rechen, erklärt Jürgen Steck. In der Schwäbischen Alb wird der Stiel dreigeteilt, in zwei Viertel und eine Hälfte. In Bayern ist es dagegen üblicher, den Stiel in nur zwei Hälften zu spannen, die links und rechts in das Haupt greifen. Steck lacht: »Ich finde unsere schwäbische Variante besser, weil man durch den dicken Mittelsteg die Kraft direkter auf den Rechen übertragen kann.«
WERKZEUG NACH MASS
Manche Aufträge sind eher persönlicher Natur. Jürgen Steck holt ein paar Rohlinge heraus, aus denen Beilstiele werden sollen. »Die sind nicht aus Esche, sondern aus Robinie, die oft mit der Akazie verwechselt wird. Der Besitzer eines Waldstücks hat sie mir gebracht, weil er es für Verschwendung hält, sie als Brennholz zu verwenden. Für ein Beil ist das Material eigentlich zu schwer – aber wer hart im Wald arbeitet, kann wohl sicher auch die paar Gramm mehr heben.« Wie traditionell und geschichtlich verwurzelt der Beruf des Wagnermeisters ist, sieht man auch heute noch am eigentümlichen Rhythmus in der Werkstatt, der sich immer noch in Ansätzen den Jahreszeiten unterwirft. Im Regal bei Jürgen Steck stapeln sich vorproduzierte Häupter für Rechen. »Das ist klassische Winterarbeit«, erklärt er. Wenn die Tage kurz, kalt und feucht sind, hat er Muße, Kinderspielzeug herzustellen, Holzschnecken, Teller, Nudelhölzer. Wer einen Rechen (Bestellinfos am Ende des Artikels) bei ihm ordert, muss nur das Haupt selbst auf den Stiel montieren. Die Nägel werden auch gleich mitgeliefert. Das Holz, mit dem Jürgen Steck arbeitet, eignet sich zu mehr als zur direkten Verarbeitung. Aus der Borke von Linden gewinnt er Bast, den man flechten kann; und der auch zu Schnüren gedreht wird. Dazu wird die Borke bis zu drei Wochen in Wasser aufgeweicht.
HOLZPRODUKT BAST
Ist der holzeigene Kleber dann im Wasser aufgelöst, lassen sich die Bastschichten leicht abtrennen und die Fasern gut aufspalten. Flicht man daraus zum Beispiel Bänder, können sie als Sohlen von Sandalen dienen, ähnlich wie bei spanischen Espadrilles. Eine besonders naturnahe Verwendung von Bast ist neben der Herstellung von Sonnenhüten auch die natürliche Befestigung von Blumen und Sträuchern mit den Bastschnüren. Das kompostiert sich später selbst. In letzter Zeit hat Jürgen Steck eine besondere Möglichkeit gefunden, sein Traditionshandwerk in historischer Form auszuüben. Im Museumspark Adventon in Osterburken (
www.adventon.de) arbeitet er nach historischen Vorgaben, ganz ohne technische Hilfe, genau wie früher.
ALTES NEU ERSCHAFFEN
Hier soll eine mittelalterliche Stadt entstehen, in der Handwerker und Händler Geschichte wieder lebendig machen. Steck ist dabei, alte Karren (nach antiken Holzschnitten) und ein Spaltbohlenhaus zu errichten. Vom 1. bis 3. Oktober zeigt er dort auch, wie Werkzeugstiele und Rechen entstehen. Man merkt Jürgen Steck die Liebe zu seinem Beruf an. Nicht nur, weil er mit Begeisterung davon erzählt, er strahlt auch eine freundliche Entspanntheit aus, die ansteckend ist.
Torsten Dewi