Bereits im „Lorscher Arzneibuch“, dem ältesten schriftlichen Zeugnis der mittelalterlichen Klostermedizin aus dem Jahr 795, wird seine Heilkraft gewürdigt: Baldrian galt schon damals als probates Mittel gegen Schlafosigkeit. „Heute ist sein Einsatz bei nervös bedingten Einschlafstörungen wissenschaftlich nachgewiesen – auch wenn man immer noch nicht genau weiß, welche Inhaltsstoffe dafür hauptsächlich verantwortlich sind“, erklärt uns Evi Kletti, als sie in ihrem Garten auf der Schwäbischen Alb die feinen Wurzeln des beruhigenden „Katzenkrauts“ ausgräbt.
ALTBEWÄHRTE PFLANZEN
Stundenlang wach im Bett liegen und auf den Schlummer warten – das kennen viele Menschen: Fast ein Drittel der Deutschen leidet hin und wieder unter Einschlaf- oder Durchschlafstörungen. Die Ursachen sind meist psychischer Natur: Leistungsdruck, Stress, innere Anspannung, Angst, Kummer.
„In der Volksheilkunde stehen einige altbewährte Pfanzen zur Verfügung, deren Wirkstoffe zu einem besseren Schlaf verhelfen können. Die bekanntesten sind neben dem Echten Baldrian (Valeriana offcinalis) auch Lavendel, Melisse, Hopfen, Rose und die Passionsblume.
Die Zubereitungen sind in der Regel gut verträglich, machen nicht abhängig und beeinträchtigen am nächsten Tag nicht die Konzentrationsfähigkeit“, so die gelernte Landwirtin und diplomierte Agraringenieurin, die mit viel Sorgfalt ihren Kräutergarten vor einigen Jahren auf eine Streuobstwiese am Rand ihres jetzigen Heimatortes Hohenstadt umgesiedelt hat.
Hier hatte sie endlich viel Platz – nicht nur für schmackhafte Wildkräuter, sondern auch für ausgewählte Heilpfanzen, deren Anzahl durch die Zusammenarbeit mit einem naturheilkundlich orientierten Apotheker stetig wächst. Nachdem sie die Wurzeln sorgfältig gewaschen und in kleine Stücke geschnitten hat, zeigt sie uns, wie einfach die Herstellung einer Baldriantinktur ist – bei Schlafstörungen der Klassiker schlechthin, der in keiner Hausapotheke fehlen darf.
Mit den frischen oder getrockneten Wurzelstückchen kann man auch einen Tee aufbrühen oder einen Kaltauszug ansetzen. Das ist allerdings eine wirklich bittere Medizin, die aus geschmacklichen Gründen mit anderen schlaffördernden Teekräutern gemischt werden sollte.
VIELSEITIGES "NERVENKRAUT"
Neben dem Baldrian sind im Sommer im Garten der Landwirtin die wuchernden Büschel eines weiteren „Nervenkrauts“ zu fnden: Melisse – Melissa ofcinalis. Evi Kletti: „Ihre frisch und nach Zitrone duftenden Blätter eignen sich für entspannende Teemischungen genauso wie als Zusatz für beruhigende Voll- oder Fußbäder. Ich habe eine ganz wunderbare Verwendung für die Melisse in einem Kräuterkissen.
Unsere Großmütter benutzten diese kleinen Duftpolster noch in vielen Lebenslagen, aber heute sind sie leider etwas aus der Mode gekommen.“ Die Expertin rät, für die Füllung lieber auf professionell getrocknete Kräuter zurückzugreifen oder zumindest genau zu kontrollieren, ob die selbst geernteten Blätter und Blüten keine Restfeuchtigkeit mehr besitzen.
KLASSIKER IM BAUERNGARTEN
Ebenso vielseitig für Teemischungen und Bäder einsetzbar ist der Lavendel – ein weiterer Klassiker aus den Bauern- und Kräutergärten, der den Weg ins Reich der Träume ebnen kann. Der wichtigste Bestandteil von Lavandula angustifolia ist ein ätherisches Öl, das die Nerven stärkt, die Gefühle harmonisiert und dabei hilft, Spannungen abzubauen.
Man kann es in eine Aromalampe zum zarten Beduften des Schlafzimmers tropfen oder ein wunderbar beruhigendes Massageöl damit herstellen (siehe S. 57). „Beim Kauf sollte man auf gute Qualität achten. Nicht näher gekennzeichnete ätherische Lavendelöle können von minderwertigeren Hybriden stammen und sind für solche Zwecke weniger geeignet“, empfehlt die staatlich zertifzierte Kräuterpädagogin, die sich mit ihren baden-württembergischen Kolleginnen zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen hat (www.ig-wildkräuter.de).
Die frischen oder getrockneten Lavendelknospen verwendet sie auch gern zum Backen ihrer viel gerühmten Entspannungskekse, die bei den Teilnehmern ihrer Seminare, Workshops und Führungen besonders begehrt sind. Lavendel und Melisse bieten sich auch als Zugaben für Voll- oder Fußbäder an, die beide zu den schönsten schlafördernden Maßnahmen überhaupt zählen.
Dabei wärmen die Wannenfreuden nicht nur die kalten Füße auf, die das Einschlummern oft zuverlässig verhindern. Im heißen Wasser werden auch die Wirkstofe aus den Badezusätzen – ein Sud aus Kräutern oder die ätherischen Öle (hier Sahne oder Milch als Emulgator nicht vergessen!) – über die Haut und die Atmung aufgenommen und können so ihre beruhigenden und entspannenden Eigenschaften entfalten.
Neben solchen Kräuteranwendungen gibt es einige Regeln, die das Einschlafen unterstützen. So maß man schon in der mittelalterlichen Klostermedizin der „inneren Uhr“ eine hohe Bedeutung bei. Die moderne Schlaforschung hat inzwischen längst bestätigt, dass es dem Organismus guttut, wenn man seinem Biorhythmus Beachtung schenkt und dann zu Bett geht, wenn Körper und Geist nach Ruhe verlangen. Hilfreich ist dabei eine gewisse Regelmäßigkeit. Darüber hinaus heißt es – auch wenn Nachteulen es gar nicht gern hören –, dass der erste Tiefschlaf vor 24 Uhr die beste Erholung bringt.
FLOTTER ABENDSPAZIERGANG
„Das Wichtigste aber ist, dass man vor dem Schlafengehen den Kopf frei bekommt und Stress, Sorgen und Probleme nicht mit ins Bett nimmt“, meint Evi Kletti. „Der voll durchorganisierte Alltag lässt uns heute kaum noch Zeit, der Fantasie und den Gedanken einfach mal freien Lauf zu lassen. Mein persönlicher Favorit unter den ,Schlafmitteln‘ ist deshalb ein flotter Abendspaziergang – und zwar bei jedem Wetter. Dabei kann man vor der Nachtruhe die Ereignisse des Tages noch einmal durchgehen – und ganz bewusst abhaken.