Ein Gänsebraten ohne Beifuß? Einfach undenkbar – als aromatischer Begleiter für den Festtagsschmaus hat das herbe Kraut eine lange Tradition. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein war die zart duftende Gewürzpflanze sogar genauso gebräuchlich wie bei uns heute Petersilie und Schnittlauch. Und das nicht nur wegen des Geschmacks: Schon unsere Urahnen hatten die Erfahrung gewonnen, dass der Beifuß viele Gerichte verträglicher macht. „Inzwischen weiß man, dass das unter anderem auf seine Bitterstoffe zurückzuführen ist: Diese fördern den Appetit, regen die Saftproduktion in Magen, Darm und Galle an und tragen so zu einer besseren Verdauung schwerer Gerichte bei“, erklärt die Heilpflanzenfachfrau Bettina Fele, die in Büsingen, einer deutschen Exklave am Hochrhein, lebt.
Reichhaltiger Magenbitter
Deshalb gehören Beifuß – Artemisia vulgaris – und sein Bruder, der Wermut – Artemisia absinthium – auch zu den Hauptbestandteilenvon Verdauungsschnäpsen.Die selbst kreierte Magenbitter-Rezeptur unserer Expertin enthält darüber hinaus zahlreiche frische Kräuter, die wir für dieZubereitung (s. Seite 130) noch sammelnmüssen – und so nutzen wir die Gelegenheitfür einen Rundgang durch ihrenwunderbar eingewachsenen Garten, der viel Platz für Heil- und Gewürzpflanzen,
Gemüsebeete, Rosenstöcke, Beerensträucher und alte Obstbäume bietet. In diesem Naturparadies hält sie ihre Kurse und Seminare ab – wenn sie nicht gerade mit den Teilnehmern die Kräuterwelt der Region erkundet.
Um den Geschmack ihres Magenbitters harmonisch abzurunden, zupft Bettina Fele zum Schluss noch ein paar Blätter vom Provence-Wermut und von der Schwarzen Edelraute ab, die in Südfrankreich auch einfach „Chartreuse“ genannt wird. Sie sind ebenfalls mit dem Beifuß verwandt – und spezielle Likörpflanzen mit einem ganz besonderen Aroma. Gärtnereien oder Baumärkte führen sie meist nicht, eine gute Bezugsquelle sind Versender wie Rühlemann’s (www.kraeuter-und-duftpflanzen.de). „Man kann beide in Töpfen kultivieren. Auch den Beifuß habe ich in ein Gefäß gepflanzt, weil er sich so stark vermehrt.
Wer ihn sich in das Gartenbeet holen möchte, sollte ihm durch eine Wurzelsperre Grenzen setzen“, rät die Expertin. Blätter und Blüten können je nach Klima von Mitte Juli bis Anfang Oktober geerntet werden. Dabei schneidet man die oberen Triebspitzen ab – etwa ein Drittel des blühenden Bereichs. Die Wurzeln werden im November ausgegraben. Seinen deutschen Namen hat der Beifuß vermutlich erhalten, weil seine Inhaltsstoffe der Regeneration von müden Füßen dienen können. Das war schon in der Antike bekannt: So empfahl der römische Gelehrte Plinius der Ältere (23 – 79 n. Chr.): „Der Saft der Pflanze, auf den Körper gerieben, gibt viel Kraft, in die Schuhe gelegt oder an das Bein gebunden, schützt sie den Wanderer vor Müdigkeit.“ Angeblich sollen sich auch die römischen Soldaten das Kraut in die Sandalen gelegt haben, damit sie länger und weiter marschieren konnten.
Eine Heilpflanze für Frauen
Eine Wohltat nicht nur für die Beine ist ein Fußbad, dem der Sud von Artemisia vulgaris zugesetzt wurde. Die Kräuterfrau: „Die wärmende, durchblutungsfördernde und entkrampfende Wirkung dieser Anwendung auf den Unterleib macht man sich heute noch in der Frauenheilkunde bei den verschiedensten Beschwerden zunutze – denn der Beifuß ist ein uraltes Frauenkraut, das überall auf der Welt geschätzt wurde. Er gehört zu den sogenannten Marienbettstroh-Kräutern, die den Wöchnerinnen früher unter das Leintuch gelegt wurden, um sie vor Infektionen zu schützen und die Rückbildung der Gebärmutter zu fördern.“
Der Beifuß-Tee, der häufig bei einer schmerzhaften oder zu schwachen Regelblutung empfohlen wird, kann übrigens auch bei allen Magen-Darm-Problemen seine beruhigende und krampflösende Wirkung entfalten. Ebenso soll er bei Nervosität und Einschlafstörungen hilfreich sein, zu deren Linderung man sich zusätzlich ein Kräutersäckchen mit getrocknetem Beifuß neben das Kopfkissen legen kann.
Eine Teekur oder andere Beifuß-Anwendungen sollten nicht länger als drei Wochen ohne Pause durchgeführt werden. Wegen seiner wehenfördernden Wirkung wird darüber hinaus geraten, in der Schwangerschaft auf die Einnahme zu verzichten. Wer eine Korbblütlerallergie hat, sollte ebenfalls vorsichtig sein. Eine wichtige Rolle spielt der Beifuß mit seinen antibakteriellen und reinigenden Eigenschaften als Räucherpflanze. „Stall und Stube wurden damit früher von Ungeziefer befreit“, so Bettina Fele. „Eine Beifußräucherung kann heute genauso hilfreich sein – etwa, um bei einem Umzug die Atmosphäre in der Wohnung zu säubern. Und nach einem Streit, wenn ,dicke Luft‘ spürbar ist, unterstützt eine Räucherung dabei, die Spannungen aufzulösen.“ Getrocknete Beifußblätter können auch ohne Kohle verräuchert werden. Man knüllt sie einfach zusammen, zündet sie an und fächelt mit einer Feder Luft zu, damit das Kraut schön verglimmen kann.
Angelika Krause