Michael Dors ist noch ein wenig müde an diesem Vormittag: „Wir haben vor 36 Stunden Nachwuchs bekommen, der hat mich die ganze Nacht wach gehalten.“ Im Stall unter einer Wärmelampe sieht man, was er meint: Zwei schwarze Lämmchen schlafen angekuschelt an die Mutter. Als sie merken, dass sie beobachtet werden, kommen sie wackelig auf die Beine und versuchen es mit einem krächzenden Ton, der nur entfernt an das kräftige Blöken der Verwandtschaft im Stall nebenan erinnert. Das müssen die beiden noch üben!
Der Stall in dem kleinen Waldgebiet nahe Hannover ist übersichtlich: Ein knappes Dutzend Schafe blökt reihum wie zum Appell und weiter hinten haben ebenso viele Ziegen die Nacht verbracht. In ihrem Bereich sind ein paar Podeste wie hölzerne Hindernisse aufgebaut: „Das brauchen die, um ein wenig klettern zu können“, erklärt Michael Dors, der eigentlich Chemiker ist.
„Im Gegensatz zu Schafen langweilen sich Ziegen schnell, besonders im Winter. Dann machen sie nur Unfug.“ Und tatsächlich beobachten uns die Ziegen aufmerksam, weil wir Abwechslung in den Stall bringen.
TIERISCHE HARMONIE
Ziegen und Schafe zusammen – geht das überhaupt? Michael Dors streicht sich über den Bart: „Eigentlich schon. Auch auf der Weide tun sie sich nix. Wir haben nur festgestellt, dass man sie nicht im Stall zusammen füttern kann, weil die Ziegen egoistisch sind und den Schafen alles wegfressen. Da kennen die keine Solidarität. “In der Box nebenan steht Robby, ein blondmähniges Pferd von ansteckender Seelenruhe: „Den habe ich von einer Reitlehrerin, die umziehen musste“, erklärt Dors. Er will noch schnell Ziege Stöckelchen und Schaf Zwille melken. Kaum ist das erste Tier im Melkstand, tauchen Katzen auf. Zwei, drei, vier – wie viele gibt es denn auf dem Hof? „Ungefähr sechs“, überlegt Dors und lacht. „Das wechselt. Die wissen, dass sie jetzt das Vorgemelk bekommen.“
Er fäustet (im Gegensatz zum „Strippen“ bei Kühen) die ersten kräftigen Strahlen Milch in einen Becher und stellt ihn den Katzen hin, die sich sofort gierig darüber hermachen. Man merkt den Tieren eine entspannte Friedlichkeit an. Sie fühlen sich wohl, gut behandelt und – zu Hause.
Dem Ehepaar Dors geht es nicht anders. Sie haben lange nach diesem Ort gesucht, an dem sie ihren Traum vom Glück wahr machen konnten. Während sie das Frühstück für die Gäste im gemütlichen Mini-Café vorbereitet, erzählt Angelika Dors: „Wir haben mit ein paar Schafen angefangen, zu deren Weide wir immer hinfahren mussten.
Als die Milchproduktion überhand nahm, habe ich in der Innenstadt von Sarstedt einen winzigen Laden gemietet, um Käse und Butter zu verkaufen. Das lief sehr gut. Aber es war nur Stückwerk und deshalb machten wir uns irgendwann auf die Suche nach einem eigenen Hof, ohne direkte Nachbarn, die sich gestört fühlen könnten.“Nach langer Suche fanden sie einen etwas heruntergekommenen Hof in idyllischer Lage – mit ungewöhnlicher Geschichte: „Das Haus war vor 100 Jahren das Pulverlager einer Dynamit-Firma! Darum findet man hier Gewölbe mit 80 Zentimeter dicken Wänden.“
EINE IDYLLE IM WALD
Fast zwei Jahre brauchten die Dors zur Renovierung, dann konnte der Hof mit der kleinen Käserei und dem Hofladen eröffnet werden. Angelika Dors war allerdings nicht sicher, ob sich wirklich Kunden finden würden: „Nur eine kleines lokales Blatt berichtete von unserer Eröffnung. Wir waren ziemlich nervös. Und dann: Plötzlich standen 1000 Leute am Sonntag auf unserem Grundstück und wolltenalles besichtigen und etwas essen!“ Seither „brummt“ die kleine Käserei, und das Ehepaar bietet zum hausgebackenen Sauerteigbrot aus Roggen und Dinkel auch Lammsalami, Leberpastete und Pfannenschlag an. Die Arbeitsteilung ist klassisch und funktioniert perfekt: Michael Dors kümmert sich um die Tiere, melkt, füttert, während seine Frau Angelika den Käse herstellt, das kleine Café betreibt, dort die Gäste bewirtet.
TIERE ZUM ANFASSEN
„Nur“ Landwirte im puren Stil zu sein, reicht den Dors allerdings nicht: Bei ihnen gibt es mittlerweile Lesungen, Ausstellungen sowie diverse Kochkurse im Angebot. Und am Schafschurtag können Kinder filzen lernen. Überhaupt Kinder: Immer wieder kommen Schulklassen auf den Hof, schauen beim Melken zu, streicheln die Ziegen und lernen Grundlagen des Landlebens, von denen viele Stadtkinder noch nie etwas gehört haben.
Natürlich ist das Leben mit Käserei nicht immer leicht, fordert ganzen Einsatz rund um die Uhr, an sieben Tagen in der Woche. Michael Dors will seinen Beruf als Chemiker an der Uni Hannover nicht aufgeben, schwärmt aber vom Gefühl, was ihm nur sein Hof schenkt: „Es gibt immer wieder so Nächte, die haut man sich um die Ohren, weil ein Schaf trächtig ist. Das schlaucht. Dann kommen die Lämmer endlich um vier Uhr früh und man denkt sich: Jetzt brauchst du auch nicht mehr ins Bett. Ich mache mir einen Kaffee, sehe die Sonne aufgehen und werde auf einmal ganz ruhig. In diesen Momenten weiß ich, warum ich das alles mache.“
Torsten Dewi