K ein Wunder, dass sich die gebürtige Innsbru- ckerin Heidi Kohl sofort in diese sonnenver- wöhnte Landschaft im Süden der Steiermark verliebt hat. Auf der Fahrt zu ihr offenbart jede Kurve neue reizvolle Ausblicke auf steile Weinberge und sanft hügelige Streuobstwiesen, auf herbstlich bunt gefärbte Laub- wälder und weite, von Hecken und Bächen gesäumte Felder, Wiesen und Moore. In dieser idyllischen Region hat sich die Kräuterpädagogin schon vor vielen Jahren niedergelassen. „Ich war schon immer sehr stark mit der Natur verbun- den“, erzählt Heidi Kohl bei einem kleinen Streifzug durch Wald und Flur. „Aber erst seit ich hier lebe, ist mir so richtig bewusst geworden, wie un- ermesslich groß der Schatz tatsächlich ist, den die Schöpfung uns Menschen mit dieser Fülle an wilden Heilpflanzen zur Verfügung stellt. Viele davon habe ich inzwischen in meinem Kräutergar- ten kultiviert. Doch in den Wiesen und Wäldern entdecke ich auch heute noch des Öfteren unscheinbare Gewächse mit bedeutenden Heilkräften, die ich früher nicht wahrgenommen hatte.“ Schöner Schattenspender Ganz und gar nicht im Verborgenen ge- deiht dagegen eine Pflanze, die auf die Österreicherin ebenfalls eine große Faszi- nation ausübt: die Gemeine Rosskastanie – Aesculus hippocastanum. Alles an diesem Baum, der bis zu 35 Meter hoch werden kann, ist stattlich: der wuchtige Stamm, die verschwenderisch leuchtenden wei- ßen Blütenkerzen, die ausladende und reich belaubte Krone – ein verlässlicher Schattenspender in jedem Biergarten – und die handförmigen, fünf- bis sieben- fingrigen Blätter, die jetzt eine schöne goldgelbe Färbung zeigen. Ein wahrhaft majestätischer Baum, der schon dem französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. mächtig imponierte. Er ließ Schlossgärten und Alleen damit bepflan- zen – und so kam die aus Südosteuro- pa stammende Kastanie bei uns im 17. Jahrhundert in Mode. „In den Schriften der Naturheilkunde wird sie seit dieser Zeit als Arzneipflanze geführt, obwohl sie in ihren Herkunftsländern vermutlich bereits in der Antike im Einsatz war“, er- klärt die diplomierte Kräuterpädagogin, die bis zur Pensionierung in ihrer eige- nen Gesundheitsschule „Hoffnungsvoll leben“ die Menschen im gesunden Le- bensstil mit den Heilmitteln der Natur ausgebildet hatte. „Bis auf die Wurzeln werden alle Pflanzenteile der Kastanie heute noch in der traditionellen Volks- medizin für vielfältige Heilzwecke ver- wendet. Ich persönlich finde dabei die rotbraunen Früchte besonders interessant und vielseitig einsetzbar.“ Um ausrei- chend Früchte für die unterschiedlichen Anwendungen zu sammeln, empfiehlt es sich, ab September beim Spazierengehen immer einen Beutel mit dabeizuhaben. Wissenschaftlich erforscht Die Inhaltsstoffe der Früchte sind in- zwischen genau erforscht. Man hat etwa herausgefunden, dass sie wertvolle zu- sammenziehende, entwässernde, entzün- dungshemmende und schmerzstillende Substanzen enthalten, die das gesamte Gefäßsystem stärken und die Kastanie so zu einem der wichtigsten Venenheil- mittel machen. Hilfreich ist dabei eine außerordentliche Fähigkeit: Die heilsa- LANDANDHAUSAUS LLANDANDAAPOTHEKE POTHEKE men Inhaltsstoffe der Kastanie können die brüchigen Wände durchlässiger Blutgefäße rich- tiggehend abdichten. Das stärkt die Gefäße, erhöht ihre Elastizi- tät und bewirkt, dass weniger Flüssigkeit in das umliegende Gewebe eintreten kann. Gleich- zeitig werden auch die feinen Blutkapillaren dazu angeregt, mehr Gewebsflüssigkeit aufzu- nehmen und abzutransportieren. Beides kann dazu beitragen, dass Schwellungen zurückgehen und dadurch bedingte Beschwerden nachlassen. Gleichzeitig regen die Wirkstoffe der Kastanie den gesamten Stoffwechsel und die Durchblutung an und fördern den Rückstrom des Blutes zum Herzen. Leichte Entzündungsprozesse, die häufig mit Wasseransammlungen oder Krampfadern verbunden sind, kön- nen ebenfalls gelindert werden. Wohltuende Anwendungen Nicht nur bei Venenproblemen, Ödemen und Hämorrhoiden hat sich die Rosskas- tanie bewährt. Auch bei schweren Bei- nen, Wadenkrämpfen, Blutergüssen, Prel- lungen, Zerrungen, Muskelschmerzen, Sportverletzungen, Bindegewebsschwä- che, Rheuma, Gicht und Gelenkschmer- zen schätzt man ihre Wirkstoffe sehr. „Besonders für die äußerliche Anwen- dung gibt es in der Volksmedizin eine Vielzahl von wohltuenden Rezepturen. Man kann die Früchte zu einem Brei für eine Auflage zerstampfen, eine Tinktur zum Einreiben ansetzen oder einen Sud fürs Badewasser köcheln. Ich benutze oft das Öl für eine Beinmassage oder die Sal- be, die mit diesem Öl zubereitet wird“, so die Kräuterfrau. Vor allem Menschen, die den ganzen Tag über auf den Beinen sind oder im Beruf viel stehen müssen, werden die Anwendungen zu schätzen wissen. „Auch die Kastanienseife hilft und kann einfach während des Duschens angewendet werden. Sie wird aber mit einer ätzenden Lauge hergestellt, und das ist für Anfänger etwas schwieriger. Darum sollten sich nur Erfahrene an das Seifensieden machen.“ 123